Christen in aller Welt
Ein Blick über den deutschen Tellerrand hinaus
Wenn wir in unserer Kirchengemeinde sonntags zur Kirche gehen oder eben (zu 95 %) nicht, dann ist das unsere ureigene Entscheidung. Niemand drängt uns, am Gemeindeleben teilzunehmen, niemand versucht, es zu verhindern. Der Staat mischt sich nicht in innerkirchliche Angelegenheiten ein, hilft der Kirche aber zum Beispiel beim Einzug der Kirchensteuer, ohne die sie gar nicht lebensfähig wäre. Die Feiertage werden nach wie vor staatlicherseits geschützt. Alle großen Parteien legen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit der Kirche, die Kirche wird im öffentlichen Raum, nicht immer, aber meist, mit Wohlwollen, wahrgenommen. Rundfunk und Fernsehen geben, zumindest was die öffentlich-rechtlichen Anstalten angeht, in ihren Beiräten und in der Darstellung den Kirchen einen weiten Raum zur Darstellung.
Unsere Reihe „Christen in aller Welt“ richtet den Blick über den Tellerrand dieser den Christen so angenehmen Verhältnisse hinaus. Schon in Europa, diesseits des Bosporus, der alten christlichen Kaiserstadt Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, müssen die wenigen verbliebenen Christen praktisch ein Leben im Untergrund führen, im östlichen Anatolien wird aus dieser Benachteiligung dann oft eine Unterdrückung und Verfolgung: Seit Jahren bemüht sich der Beitrittskandidat für die EU Türkei, das 1600 Jahre alte orthodoxe Kloster Mor Gabriel systematisch mit rechtlichen Mitteln seines Grundbesitzes zu berauben. Diese Bemühungen stehen kurz vor einem „erfolgreichen“ Abschluss, der das Kloster dann seiner Existenzgrundlage berauben würde.
Weiter östlich wird die Lage noch dramatisch viel schlimmer: Im Irak sind seit dem tolpatschigen Versuch der Amerikaner, die Demokratie mit Waffengewalt einzupflanzen, über die Hälfte der Christen aus Furcht um ihr nacktes Leben in Nachbarländer geflohen, in Afghanistan und Pakistan kann allein die Anschuldigung, den Propheten Mohamed gelästert zu haben, einen Angehörigen der verschwindend kleinen christlichen Minderheit das Leben kosten. Glaubensmut und Gemeindeleben sind in all diesen Ländern trotz dieser widrigen und teilweise lebensbedrohenden Umstände kräftig und inbrünstig. Für uns eine Gelegenheit, unsere eigene Einstellung anhand dieser Vergleichsmöglichkeiten zu überdenken. Ulrich Meisser