Türkei


Tarsus und Trabzon. Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff ist mit seiner Feststellung, dass neben Christentum und Judentum nun, im 21. Jahrhundert, auch der Islam zu Deutschland gehöre, hierzulande nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Dass ihm diese Feststellung nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, hatte er noch als Ministerpräsident Niedersachsens mit der Ernennung einer türkischstämmigen Muslimin zur Ministerin bewiesen. Bei seinem Besuch Ende Oktober letzten Jahres in der Türkei gab ihm dieser Satz allerdings auch das Recht, auf eine oft, gerade in der Türkei, übersehene Selbstverständlichkeit hinzuweisen: Das Christentum gehört zur Türkei. Im von der katholischen Kirche ausgerufenen Paulusjahr besuchte der gläubige Katholik Wulff den Heimatort des Apostels Paulus, Tarsus.

Es gibt in Tarsus heute keine christliche Gemeinde mehr, Die von italienischen Nonnen betreute Paulus-Kirche ist offiziell ein Museum, in der nur mit Sondergenehmigung Gottesdienste stattfinden dürfen. Evangelische wie katholische Geistliche der jeweiligen Gemeinden in Istanbul feierten den Gottesdienst zusammen mit dem syrisch-orthodoxen Bischof Grigorius Melki Ürek aus dem ostanatolischen Adiyaman in Anwesenheit des Bundespräsidenten. In seiner sehr politischen Predigt betonte Pfarrer Holger Nollmann von der deutschen protestantischen Gemeinde in Istanbul die Sehnsucht der Christen nach „vollständiger Religionsfreiheit“. Türkische Regierungsvertreter waren in Tarsus nicht anwesend. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz in der Türkei, dass Christen keine höheren Regierungsämter bekleiden dürfen.

In mehreren Pressegesprächen wurde der Bundespräsident dann sehr deutlich. Er wies darauf hin, dass Religionsfreiheit „ein Menschenrecht„ sei, das für Einzelne wie für die Gemeinschaft der Gläubigen gelte, und konnte dabei auf die freie Religionsausübung der Muslime in Deutschland verweisen. Obwohl seit längerer Zeit Absichtserklärungen der türkischen Regierungen vorliegen, hapert es aber immer noch an der Anerkennung christlicher Gemeinden als Rechtspersönlichkeiten (so dürfen sie weder Grundstücke noch Gebäude besitzen), der Unterhaltung von Kirchen und Klöstern sowie der Priesterausbildung.

So ist seit 1971 die orthodoxe Priesterschule in Istanbul geschlossen. Dahinter steht offenkundig die Absicht, die orthodoxe Kirche, deren Geistliche mittlerweile nur noch aus Greisen bestehen, langsam sterben zu lassen. Hier tut eine schnelle Abhilfe not. Die Christen verschiedener Konfessionen in der Türkei, überwiegend aber Orthodoxe, deren Oberhaupt der Patriarch von Konstantinopel, das heißt Istanbul, ist, sind weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Sie hoffen, im Gegensatz zu vielen deutschen Christen, für die Anatolien oder Kleinasien vor allem ein asiatisches Land ist, auf eine Aufnahme der Türkei in die EU. Ihre Stellung als benachteiligte Minderheit würde durch die Einbettung der Türkei in das europäische Rechtsystem erheblich gestärkt. Aber auch ohne diese Aufnahme täte die Türkei sich und ihrem Ansehen im Abendland einen Gefallen, dem Christentum als der älteren Religion des Landes Gleichberechtigung zu gewähren.

Die deutsche Integrationsbeauftragte, Staatsministerin Maria Böhmer, hat bei ihren Gesprächen in der Türkei vom 12. bis 16. September am ersten Tag Trabzon am Ostufer des Schwarzen Meeres, das mittelalterliche Trapezunt, besucht. Die orthodoxen Kirchen der Stadt sind längst in Moscheen umgewandelt oder Museum, wie die Hagia Sophia am Meeresgestade. Das einzige noch offene christliche Gotteshaus ist die katholische Marienkirche. Gottesdienste können dort nur noch von einem Laien abgehalten werden. Der letzte Priester, Andrea Santoro, ist vor fünf Jahren von einem Sechzehnjährigen ermordet worden. Die Gläubigen wagten nicht einmal vor den Kameras des ZDF, sich von vorne filmen lassen, aus Angst, am Ort als Christen wiedererkannt und verfolgt zu werden. „Der Glaube muss gelebt werden können.“, sagte Böhmer ihren türkischen Gesprächspartnern.

Das ist ein Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der Christen in der Türkei heute. Dazu gehört auch, dass der einzige Christ, der in den vergangenen fünfzig Jahren ins türkische Parlament gewählt wurde, Erol Dora, sein Mandat nach der Wahl vom 12. Juni dieses Jahres bis heute nicht annehmen durfte, weil er der prokurdischen BDP angehört. Dies alles in einem Land, dessen Religionsministerium mit größter Selbstverständlichkeit das Recht in Anspruch nimmt, Imame nach Deutschland zu entsenden, die hier muslimische Gemeinden betreuen. Ulrich Meisser




Zurück